Michael Dohle

Michael Dohle - Leviarte

#11.18., Jahr 2008; Auflage 1/1. Lambda Color Belichtung auf PE auf Karton, Bildgröße 76,2×158 cm, ohne Glas, gerahmt

Michael Dohle - Leviarte

#11.09, 2012; Digraphie ® auf Epson CPN auf Aludibond, Auflage 1/1, 89,1 x 160 cm, Miroglas Museumsglas, gerahmt.

Michael Dohle - Leviarte

#11.17, Jahr 2012, Auflage 1/1, Digraphie ® auf Epson CPN auf Aludibond, Bildgröße 60x90cm, Mirogard Museumsglas, gerahmt.

Michael Dohle - Leviarte

#11.18, Jahr 2012, Digraphie ® auf Epson CPN auf Aludibon, Auflage 3/3, 34 x 152 cm, Ohne Verglasung

Michael Dohle - Leviarte

#13.25, Jahr 2015; Auflage 1/1, Digraphie ® auf Epson CPN auf Aludibond, Bildgröße 40 x 53 cm, Mirogard Museumsglas, gerahmt

Michael Dohle - Leviarte

#13.25, Jahr 2015, Auflage 1/1, Digraphie ® auf Epson CPN auf Aludibond, Bildgröße 40×53 cm, Mirogard Museumsglas.

Michael Dohle - Leviarte

#14.11., Jahr 2015, Auflage 1/1, Digraphie ® auf Epson CPN auf Aludibond, Bildgröße 40×81 cm, ohne Verglasung

»Starkes Gefühl von Gegenwart«, notierte einmal ein Schriftsteller in sein Tagebuch. Jetzt stehe ich vor einer großformatigen Photographie, sehe einen verlassenen Saal, der mir keine Ruhe lässt, in seinen grauen Tönen, mit seinen Fenstern und Fluchtlinien. Gegenwärtig sind dieses Werk, weitere Photographien und ihr Urheber; der Raum, im dem ich in diesem Moment stehe, ist das Hergenrather Atelier des Photographen Michael Dohle.

Jede Photographie hat mich als Bezugspunkt, und eben dadurch bringt sie mich zum Staunen, daß sie die fundamentalen Fragen an mich richtet: warum lebe ich hier und jetzt? Zwar setzt die PHOTOGRAPHIE, mehr als jede andere Kunst, eine unmittelbare Präsenz in die Welt, eine Ko-Präsenz […] auch metaphysischer Natur. (Roland Barthes: Die helle Kammer, S. 95)

Gegenwart…

…was meint das wirklich? Wirklichkeit oder Alltag, die monotonen Wege, Häuser und Landschaften, in denen wir leben? Die so vielen Bilder, die uns jeden Tag begleiten, wecken allenfalls Träume oder Müdigkeit, haben nicht diese eindringliche Präsenz. Was sehe ich auf dieser Photographie? Eine Landschaft, einen Raum, Schafe, einen Busch – Bekanntes doch? Nein, mein Blick stößt sich: hier an Autoreifen auf einer Miete, die zur Landschaft gehören; dort an einem Baumstamm, der schwarz und markant hinein die Ebene ragt, drohend, beklemmend, rätselhaft auch. Er liegt auf einem versteppten Hochplateau – ein menschenfreier Ort, verwaist, verwunschen, still oder verlassen? Rechts neben dem Baumstamm ragt ein alter Dieselmotor ins Bild, wessen und welches Zeichen? Aha, auf den Causses war das, in Frankreich. In seinen Regionen verbringt Michael Dohle seit 2003 gemeinsam mit Gerlinde Zantis, Bernd Radtke und anderen Kunstbesessenen jährlich Arbeitsaufenthalte. Viele seiner Themen und Motive sind in den südfranzösischen Landschaften zu verorten. Für einige Aufnahmen hat er stundenlang konzentriert die richtige Perspektive gesucht, oft aber rasch auf den Auslöser gedrückt, weil er seinen Ausschnitt gefunden hat. Korrekturen am Bildschirm bleiben minimal wie vormals in der Dunkelkammer. Seine bewundernswerte Treffsicherheit ist erklärbar mit einem intensiven Einlassen auf Bild und Welt. Er hat viele Museen besucht und Gemälde studiert, sich dann der Photographie gewidmet. Deren Studium ist für ihn auch verbunden mit den Werken des großen Meisters der Photographie, Ansel Adams – und mit intensivem Erleben: Gewappnet mit Kamera, Zahnbürste, einigen Feigen Proviant, durchwandert er – »es war ein elendes Geklettere« – drei Tage die Caldera de Taburiente auf der spanischen Insel La Palma ins Zentrum des Kraters, schoss dort sein Photo. Das war nebenbei am Todestag von Ansel Adams.

Ein anderer wichtiger Lehrmeister ist Robert Frank, der das Verständnis von »demokratischer Photographie« prägte. Seine Photographien rühren Michael Dohle besonders an, obwohl sie ›nur‹ undramatische Landschaften zeigen – später erst bewusst als Ort des tödlichen Unfalls von Franks Tochter. Begeistert ist Michael Dohle von den Photographien und dem Menschen, der ihm beim Besuch seiner Ausstellung im Folkwang Museum auffällt, ein eigenwilliger, stiller Mensch.

Mein Blick fängt sich erneut in dem cevennischen Hochplateau, dessen Perspektive für mich Auslöser einer Empfindung von Unsicherheit ist. Einen Vexierpunkt, ein Abenteuer, bieten mir alle Werke von Michael Dohle – Roland Barthes hat gesprochen von »diesen empfindlichen Stellen; und genaugenommen sind diese Male, diese Verletzungen Punkte. Dies zweite Element, welches das studium aus dem Gleichgewicht bringt, möchte ich daher punctum nennen; denn punctum, das meint auch: Stich, kleines Loch, kleiner Fleck, kleiner Schnitt – und: Wurf der Würfel. Das punctum einer Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet, trifft.)«

Offenkundiger als das punctum im Bild, gleichsam allgemeiner, ist das kulturelle Thema, das studium. Leicht wäre dieses Thema fassbar bei Symbolen, Sensationen und Spektakulären; doch Photographieren als Kunst heißt Bedeutung verleihen, nicht Bemerkenswertes herausheben. Und welche Motive wählt Michael Dohle? Alltäglich unspektakuläre – Häuser, Landschaften, oft verlassen, schwer bewohnbar. Ihre Bedeutung erschließt sich erst über vage Momente, die keine empathische Faszination sind, und doch mehr als Interesse, ein unbedingtes Aufmerken. Die Linien, die von dem Baumstamm beschrieben werden, die Fluchtlinien im Raum, die Formen der Landschaft/Horizont-Abgrenzung, sie ziehen meine Aufmerksamkeit auf diese Landschaft, nicht in sie. Die Formen bleiben kantig. Die Magie liegt in der Geometrie von Punkten oder Formen, wird zu einer neuen künstlerischen Wirklichkeit.

In keiner anderen Kunst ist in dieser Form die photographische Nähe zum Referenten gegeben, die notwendig reale Sache, die vor dem Objekt platziert war, ist von elementarer Bedeutung und schafft einen anderen Zusammenhang denn in der Malerei; die Referenz ist das Grundprinzip der Photographie. Diese ihr eigene Bestimmung von Nähe und Ferne bestimmt den Reiz der Kunstform, versperrt mir eine unbewusste und eindimensionale Perspektive auf die Lebenswirklichkeit. Und das mit großem Respekt vor den Dingen. Das photographische Sehen führt, so Roland Barthes, nicht zu Vereinigung mit Natur, sondern zu Entfremdung. Menschenauge und Kameraauge sprechen verschiedene Sprachen. Diese Kunst setzt die Reizschwelle der Wahrnehmung nicht herauf – wie Getränkehersteller die Zuckerdosis – sondern herab.

Michael Dohle, geboren 1942, wurde erst spät zum Photographen. Immer wach und stets gesellschaftlich engagiert, setzte sich der junge Intellektuelle mit seiner Familiengeschichte auseinander und stand in der Zeit der 68-er Jahre. Er studierte Architektur und lehrte an der Hochschule, arbeitete, photographierte nebenher, gründete eine Familie und behielt sich einen freien Blick. Seit 1982 ist er kunstschaffend. Die berufliche Doppelbelastung war hoch, der Druck führte zu Hörstürzen. Michael Dohle entschied sich: für die Kunst. Nicht mehr nur in der freien Zeit, sondern ausführlich und konzentriert. Er wird anerkannt, erhält 2004 den Kunstpreis des Freundeskreises Neues Kunsthaus Ahrenshoop. Die Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus bedeutet ihm viel, die über die profilierte Kulturstätte organisierten Projektreisen bis in die norwegischen Lofoten oder nach Polen und Russland prägen zehn Lebensjahre, von 1996 bis 2006. Zahlreiche Projekte und Ausstellungen organisiert Michael Dohle, 2013–2015 arbeitet er mit am Projekt Der Weg nach Aachen, initiiert von dem niederländischen Filmer Jo Dautzenberg, dem Musiker Heribert Leuchter und Ensemble, das im Ludwig-Forum Aachen und anderen Orten der Region präsentiert wird. Zu den aktuellen Produktionen des Chaostheaters Aachen (Regie: Reza Jafari) leistet er photographische Beiträge. 2015 stellt er seine Arbeiten gemeinsam mit Gerlinde Zantis im Forum für Kunst und Kultur in Herzogenrath aus. Auch an den beiden Aachener Museen betreut er Workshops und seit 2004 eine Kleine Sommerakademie an wechselnden Orten in D und B. Zudem ist er Mitglied der Münchener Secession, für die er 2011 gemeinsam mit Gerlinde Zantis die Ausstellung out of home der OBB München realisiert.

Michael Dohle hat sich eingelesen in Grundlagen und Feinheiten der Photographie, und er liest weiter. Texte finden immer wieder Eingang in seine Arbeiten. Aus der Lektüre von Herta Müller und Oskar Pastior entsteht 2008 im Neuem Kunsthaus Ahrenshoop der Kubus zu Oskar Pastior und das Möbiusband, Objekt zur Frankfurter Buchmesse. 2010 leistet er Bildbeiträge für das einschlägige Journal für Philosophie, der blaue reiter. Weiter aus der Reihe herauszuheben sind: Nun tanzen die Ratten im Geklirr (2010) im Forum für Kunst und Kultur Herzogenrath, in Anlehnung an Else Lasker-Schülers Das blaue Klavier mit einer Wortperformance von Jaap Blonk (NL), sowie 2010 die Ausstellung atemschaukel aufheizkörper – Fotografische Objekte und literarische Fundstücke zu Herta Müller und Oskar Pastior, im KuKuK Aachen(D)/Eupen(B). »Gedacht hatte ich an den Beginn eines Romans von Gabriel García Márquez …« Das ist kein ungewöhnlicher Anmarsch, wenn Michael Dohle ein eigenes Photo begutachtet: »Ich habe durch die Beschäftigung mit Surrealismus, mit der Literatur den künstlerischen (fremden) Blick auf die Welt gelernt. In der Moderne zerfielen die Dinge, die Ideen, die Gesellschaft. Also haben die Künstler die Teile wieder zu einem Neuen zusammengesetzt, ganz anders als vorher. Und es ist ihnen aufgefallen, dass schon in den noch ›ganzen‹ Dingen der destruktive, gewaltsame Zerfall immanent ist und schnell wirksam werden kann. Das Unbekannte, Unbewußte, Unmögliche der Dinge übte eine Magie auf Kunst und Literatur aus. Mir war es zunehmend wichtiger zu zeigen, was in den Dingen steckt, das man nicht sieht, vor allem in den banalen, beiläufigen, belanglosen Dingen und Landschaftsfragmenten.«

Mein Kühlschrank sieht nach Michaels Bekanntschaft anders aus: Darauf kleben, aus Exemplar 9/10, magnetische Carrés mit Textzitaten (Elias Canetti, Franz Kafka, Tristan Tzara, Oskar Pastior …) und Bilder (Tische, Federn, Aschenbecher, gesehen durch seine Kamera) im Wechsel: Für Michael gibt es Bezüge, ich suche noch.

Entwicklung braucht Zeit, und die Photographie, wo sie Kunst ist? Barthes erweitert seine anfängliche Zweiteilung eines Feldes kulturellen Interesses und des dieses studium durchkreuzenden punctums um ein weiteres: »Dieses neue punctum, nicht mehr eines der Form, sondern der Dichte, ist die Zeit, ist die erschütternde Emphase des Noemas (›Es-ist-so-gewesen‹).« Die »Zeugenschaft der PHOTOGRAPHIE« beziehe sich »nicht auf das Objekt, sondern auf die Zeit«. Darin liegt ihre Melancholie, damit erklärt sich die ihr fehlende Tragik. Photographien müssen für Barthes »still« sein, »das ist keine Frage der ›Diskretion‹, sondern der Musik.« Starke Melodien wenden sich an die Betrachter der Werke von Michael Dohle, schaut doch auf.