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Entre Ady: Gib mir Deine Augen.

26,00 

Gedichte.
Ungarisch / Deutsch.

Vielleicht nicht ein europäischer Dichter des 20. Jahrhunderts, kaum einer weltweit, hatte und hat in seinem Land bis auf den heutigen Tag ein Echo wie der Ungar Entre Ady (1877–1919). Seine dichterische Stimme ist dabei von der epochalen Kraft, wie sie der Amerikaner Walt Whitman und die Franzosen Baudelaire oder Rimbaud verkörpern. Mit ihnen begannen neue Zeitrechnungen und mit Ady auch – in Ungarn. Verehrung und Ehrfurcht, Faszination und Bewunderung standen dabei lange Verachtung und Anfeindung, Missdeutung und Argwohn gegenüber. Erst heute ist sein Rang als größter Lyriker der ungarischen Moderne zusammen mit Attila József unbestritten, erhaben über ideologisch Vorbehalte, die jahrzehntelang den Blick auf sein Werk mit bestimmten, ohne die Popularität des Dichters ersticken zu können. Adys ungeheure Wirkung liegt darin, dass er durch seine Dichtung und Haltung nicht nur das ungarische Leben insgesamt innerlich revolutionierte:
Auf der einen Seite flossen ihm alle Sympathien jubelnd entgegen. Denn er war es wie kein anderer vor oder nach ihm, der endlich auszudrücken und in Worte zu fassen vermochte, wie ein modernes Ungarn aussehen könnte, das mutig Tradition in sich aufnimmt und sich zugleich mit klarer Stimme in einem zukünftigen Europa bewegt, emanzipiert und radikal neu – ganz wie das brodelnde Budapest, das neben Paris und Berlin die aufregendste Metropole war.
Auf der anderen Seite zog Ady den geballten Widerstand gegen das Modernistische und sündig Symbolische auf sich, der spätestens unter dem Horthy-Regime (ab 1920) den atemberaubenden kulturellen Aufbruch Ungarns abwürgte. Er wurde seinen Gegnern zum Inbegriff der Dekadenz: als der unrettbar syphiliskranke Prophet von Verfall und Sünde, der Anfang vom Ende, Synonym für Unverstand und Unverständlichkeit. Auch eignete er sich nie zur ideologischen Vereinnahmung: So stellte Ady sich radikal gegen den Ersten Weltkrieg und taugte als der leidenschaftliche Liebhaber einer jüdischen Muse auch den Antisemiten nicht als Identifikationsfigur. Weitere Versuche von Nationalisten oder dann Kommunisten, sich seiner Popularität zu bedienen, scheiterten an Adys Vielstimmigkeit und bewegten Biographie.
Faszination und Fatalität umlagerten seinen Namen. Das galt nicht nur für das Feld der Politik, sondern für alle Lebensbereiche: für das Erotische und die Revolte, für die Liebe und das Geld, für Heimweh und Lebenshunger, für Gott und die Welt. Sein Leben, zuerst durch die Erfahrung des jüdischen Bürgertums der Metropole Nagyyrád (heute das rumänische Oradea) geprägt, wurde zur Legende und zum Inbegriff eines Bohémiens: Adys Lebensmittelpunkt in Budapest war das Wirtshaus Három Holló (Drei Raben); seine Schreiborte in den Cafés von Paris wurden vom weltberühmten André Kertesz später photographisch nachgestellt.
Adys Gedichte gehören zu den größten Geheimnissen der Weltliteratur. Von Kundigen begeistert gerühmt, ist es trotz vieler Anstrengungen bisher nicht gelungen, sein Werk europäisch oder gar weltweit sichtbar zu machen. Dabei wäre gerade Ady mit seiner leidenschaftlichen Dichtung ein möglicher Schlüssel, die Eigenartigkeiten seines kleinen Landes, dieses exotischen und immer wieder irritierenden Volkes mitten in Europa, zu entdecken und verständlicher zu machen.
Die besondere Herausforderung für den Übersetzer liegt darin, Ady nicht auf einen Ton einseitig festzuschreiben, die vielen Facetten seiner Dichtung zu erfassen, das nur scheinbar Widersprüchliche aufklingen zu lassen. Denn seine ungarischen Verse – wie sie in dieser Ausgabe gleichberechtigt zur Sprache kommen – treffen zwar eine ungarische Welt, die sich so nur ungarisch treffen ließ und läßt. Das ist allerdings kein Zeichen von Provinzialität, im Gegenteil: Ady weitet seinen Horizont und den seines Landes und seiner Dichtung: Er ist in Paris so heimisch wie in der Puszta, er ist überall und immer gleich fremd wie es nur die beste Poesie zu sein versteht, er ist der Kern einer aus Sprache gebauten Gegenwelt.
Dieser Band will neue Wege öffnen, den großen Klassiker der ungarischen Moderne dem europäischen Diskurs zu nähern und auf die besondere Aktualität seiner Abgelegenhheit aufmerksam zu machen.
Der Übersetzer Wilhelm Droste – Budapester Germanist, Journalist, Autor, Kaffeesieder, Fußballnarr (HSV 96) – hat im Arco Verlag zusammen mit Éva Zádor Pécs. Ein Reise- und Lesebuch (2010) herausgegeben.

280 S. / 8 Abb. / 15 x 28 cm / 1. Aufl. Gebunden. September 2011; ISBN 978-3-938375-46-4. Ohne Versandkosten.

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